Dr. O. Stillich, der seit über 30 Jahren an der Humboldt-Hochschule tätig ist, vollendet heute sein 60. Lebensjahr. Der deutsche Pazifismus besitzt in ihm einen seiner bekanntesten Vertreter, der den Friedensgedanken wissenschaftlich untermauert hat. Schon lange vor dem Kriege war Stillich entschiedener Republikaner. Ende der 1890er Jahre gründete er die Münchener Friedensgesellschaft. Seitdem hat er sich in vielen Vorträgen für den Gedanken der Völkerversöhnung eingesetzt. Jetzt blickt er auf eine reiche Lebensarbeit zurück.
Unter seinen zahlreichen Schriften sei hervorgehoben eine Broschüre über den „Friedensvertrag von Versailles im Spiegel deutscher Kriegsziele“, in der die raubgierigen Annexionspläne der Alldeutschen kritisiert werden. In „Deutschland als Sieger“ stellt Stillich den skrupellosen Machtwillen der deutschen Militärs im Kriege, der in den Friedensverträgen von Brest-Litowsk und Bukarest zum Ausdruck kam, den Bestimmungen des Versailler Vertrages gegenüber. In seinen „Konservativen“ und dem „Liberalismus“ analysiert der Gelehrte die Parteien als soziologische Gebilde, deren Grundsätze als Ausstrahlungen von ihnen vertretener Gruppeninteressen betrachtet werden müssen.
Diese Schriften, wie auch die Broschüre „Fort mit dem VDA [Verband des Deutschtums im Ausland] – aus den Schulen!“, die den nationalistischen Grundcharakter dieses Vereins aufdeckt, haben in dem reaktionären Blätterwald Stürme der Entrüstung hervorgerufen. Gegenwärtig arbeitet Stillich an einem größeren antifaschistischen Werk.
Aus: Welt am Montag, 38. Jg., Nr. 39, 26. September 1932