Oskar Stillich – ein „vergessener“ Republikaner und Pazifist*

Oskar Stillich, am 26.9.1872 in Metschlau bei Sprottau in Niederschlesien geboren und am 31. Dezember 1945 in Schulzendorf bei Berlin gestorben, ist vor allem als Volkshochschuldozent, Redakteur, Publizist und Autor zahlreicher Bücher und Schriften hervorgetreten. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Herausgeber der ersten Zeitschrift für das Volksbildungswesen („Die Volkshochschule“, 1909-1914) und als einer der wichtigsten Förderer des Volkhochschulgedankens bekannt, war Oskar Stillich schon in den 1890er Jahren am Aufbau der „Münchner Friedensvereinigung“ beteiligt. Der promovierte Volkswirt, der Krieg als Minderung des Reichtums des Volkes begriff, klärte 1915 in der von dem Friedensnobelpreisträger Alfred Hermann Fried geleiteten „Friedens-Warte“ die Öffentlichkeit über die Profite der deutschen Schwer- und Kriegsindustrie auf. 1916 war Stillich Mitbegründer der „Zentralstelle Völkerrecht“, die sich für einen raschen Verständigungsfrieden einsetzte. Im Januar 1918 wandte er sich, unterstützt von Otto Huë und Ludwig Quidde, mit der Schrift „Deutschlands Zukunft bei einem Macht- und bei einem Rechtsfrieden“ gegen den Annexionismus und gegen alldeutsche Weltherrschaftsansprüche.

Nach 1918 wurde Stillich, nun bereits seit über zwei Jahrzehnten der Deutschen Friedensgesellschaft angehörend, Mitglied des „Friedensbundes der Kriegsteilnehmer“ und des „Bundes der Kriegsdienstgegner“, für dessen Reichsausschuss er in den Jahren vor 1933 aktiv war. Vor allem mit seinen Veröffentlichungen über das Versailler Vertragswerk, das er als hart, aber nicht unerträglich und unerfüllbar charakterisierte und dessen Bekämpfung durch Presse und Parteien er als „Gefahr für Deutschland“ bezeichnete, übte er auf große Teile der deutschen Friedensbewegung, die linksrepublikanische Öffentlichkeit sowie auf Teile der Gewerkschaften nachhaltige Wirkung aus. „Die Ursachen unserer Wirtschafts- und Finanznot“ (so auch der Titel einer 1920 erschienenen Schrift) und der Ruin der deutschen Wirtschaft seien auf die bis zur Erschöpfung aller Kräfte mobilisierte Kriegsbereitschaft, nicht auf die Deutschland auferlegten Wiedergutmachungsleistungen zurückzuführen. Wie bereits 1912 scheiterte 1925 der Versuch deutschnationaler Kreise, den Privatgelehrten aus dem Dozentenamt der Humboldt-Hochschule zu vertreiben, am Widerstand der Zuhörerschaft und des republikanisch gesinnten Teils des Lehrkörpers.

Mit seinem anonym veröffentlichten „Deutschvölkischen Katechismus“ (1929-1932, 3 Bände) versuchte Stillich darüber aufzuklären, in welchem Ausmaß große Teile des deutschen Volkes lange vor dem Wahlerfolg der NSDAP von 1930 von völkisch-rassistischem Ungeist erfasst waren und in welchen Parteien, Vereinen, Verbänden und Orden sich die kriegstreibenden und republikgefährdenden Kräfte organisiert hatten.

Nach der faschistischen Machtergreifung verlor Stillich sein Lehramt. Trotz Rede- und Schreibverbot setzte er sich in einer Reihe von Arbeiten mit den Auswirkungen des Nationalsozialismus auf das Denken und Handeln des deutschen Volkes auseinander. Diese bislang noch unveröffentlichten Analysen verdeutlichen, „dass der Ungeist des Nationalsozialismus nicht an die Herrschaftsperiode des Dritten Reichs gebunden war, sondern sich schon vorher in der Mentalität zahlreicher und einflussreicher Deutscher ausprägte“ (H. Wehberg).** Gleichwohl stieß Stillichs Vorhaben, mit seinen Studien über die Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus einen Beitrag zur Bewältigung der preußisch-neudeutschen Vergangenheit zu leisten, auf Ablehnung. Der Versuch seines Sohnes Stephan, die Manuskripte seines Vaters in den beginnenden 1950er Jahren durch das Institut für Zeitgeschichte publizieren zu lassen, scheiterte. Der Pazifist starb, unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit, an den Folgen jahrelanger Unterernährung und ist heute weithin vergessen.

Oskar Stillich hat zahlreiche Bücher, Schriften sowie Artikel und Abhandlungen in Zeitschriften und Zeitungen verfasst (siehe dazu die hier demnächst erscheinende Bibliographie).

* Leicht ergänzte Fassung aus: H. Donat/Karl Holl (Hrsg.), Die Friedensbewegung. Organisierter Pazifismus in Deutschland, Österreich und in der Schweiz, Düsseldorf 1983, S. 373 f.

** Zitiert nach H.W. (d.i. Hans Wehberg), Dr. Oskar Stillich (1872-1945). Sein Kampf für eine objektive Beurteilung des Versailler Friedensvertrages. In: „Friedens-Warte“, 46. Jg., Nr. 5/1946, S. 316 ff. – Siehe auch: Bei wem studiert man mit Erfolg Nationalökonomie? Festgabe zum 50. Geburtstag für Dr. Oskar Stillich, gewidmet von seinen Hörern, Berlin 1922.