Brief von Tessa Hofmann und Helmut Donat an Bundesaußenmisterin Annalena Baerbock

Sehr geehrte Frau Ministerin Baerbock,

Sie haben sich am 3. April 2022 für verschärfte Maßnahmen gegen W. Putin und gegen die Russische Föderation ausgesprochen und Ihr Verlangen mit den mutmaßlich an ukrainischen Zivilisten begangenen Gräueltaten begründet. Dazu hieß es in Medienberichten, dass bislang nicht sicher sei, ob die Verbrechen wirklich von russischen Soldaten begangen worden sind Statt ruhig und sachlich zu reagieren und abzuwarten, treiben Sie die neuerliche Russophobie an und behandeln die Meldungen über Butscha bereits als Tatsachen. Bevor es keine objektivierten und belastbaren Untersuchungsergebnisse gibt, die eine Anklage rechtfertigen, haben Sie sich u.E. – wie auch andere Persönlichkeiten in öffentlichen Ämtern – Zurückhaltung aufzuerlegen. Wie in anderen Fällen gilt auch hier zunächst die Unschuldsvermutung. Stattdessen handeln Sie unbedacht, erregt und damit wohl auch fahrlässig. Ein Beispiel: Am 5. April 2022 hat W. Selenskij in einer Video-Botschaft erklärt, in einigen Dörfern hätten die russischen Soldaten schlimmere Verbrechen als die Nazis vor 80 Jahren begangen. Beweise dafür hat er nicht vorgelegt. Sein Vergleich, mit dem er bestimmte Schlussfolgerungen durchsetzen will, entpuppt sich für jeden, der über historische Kenntnisse verfügt, leicht als Teil ukrainischer Kriegspropanda. Wir fragen Sie, was gedenken Sie gegen eine solche Verharmlosung des Holocaust zu Kriegszwecken zu tun? *

Gleichwohl kann Präsident Selenskij seine Behauptungen ungehindert auf deutschen Kanälen verbreiten. Dazu passt, dass er in der Medienlandschaft wie ein „Lichtbringer“ und W. Putin als ein vom Teufel Besessener oder Wahnsinniger betrachtet wird. Eine derartige simplisti-sche Sichtweise kommt freilich einer Bankrotterklärung des „Westens“ gleich, denn statt der jetzt dringend benötigten Analyse der komplexen und komplizierten Ursachen des Konflikts und Krieges in und um die Ukraine wird Schuld einseitig individualisiert und der vermeintlich einzige Schuldige „psychologisiert“ (und das auch noch per Ferndiagnose).

Vieles spricht dafür, sehr geehrte Frau Ministerin, dass Sie und Ihr Beraterstab offenbar wenig oder zu wenig wissen über die grauenerregende, systematische Liquidierung von Juden z.B. in Lemberg und Umgebung, die von Deutschen im Verbund mit der ukrainischen Polizei durchgeführt worden ist.

Unter den von Ihnen angestrebten weiteren Sanktionen werden mittel- und langfristig nicht nur die in der Russischen Föderation zusammenlebenden Ethnien, sondern auch große Teile der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschlands leiden. Während Spekulanten, Rüstungs-, Rohstoff- und Mineralölkonzerne an dem von Ihnen weiter forcierten Wirtschaftskrieg pro-fitieren, werden die armen und ärmsten Bevölkerungsteile durch den Geldwert- und Kauf-kraftverlust noch mehr verarmen. Mittel- und langfristig dürften auch große Teile des Mittelstandes davon betroffen sein. Was am Ende dabei herauskommen wird, ist leicht vorher-sehbar: eine Stärkung antidemokratischer und gewaltbereiter Kräfte.

Wir fordern Sie daher auf, von Ihrer Katastrophenpolitik abzulassen. Sie gefährdet den sozialen Frieden und leitet Wasser auf die Mühlen derer, die unsere Demokratie zerstören wollen. Kehren Sie zu einer Haltung zurück, die sich nicht weiter an einem Streben orientiert, das zu Lasten großer Teile des russischen sowie des deutschen Volkes führen wird. Wenn Rechtsextreme in der ukrainischen Armee mehr sind als lediglich eine Randerscheinung – die Schätzungen schwanken zwischen 1.000 bis 100.000 Kämpfern – lieferten wir Waffen in einen Staat, von dessen Armee sich eventuell gewichtige Teile an der SS orientieren – und das im Kampf gegen Russland. Sind Sie sich bewusst, was das bedeuten und welche Traditionslinie damit beschritten würde?

Die von Ihnen propagierte Zielsetzung, Russland wirtschaftlich und politisch zu ruinieren und dessen Destabilisierung herbeizuführen, zeigt, dass Sie die damit verbundenen immensen Gefahren offenbar nicht überschauen oder, schlimmer noch, dass diese Ihnen gleichgültig sind. Wir fragen Sie, wollen Sie Russland und seine Bürger in eine Lage treiben, die der von 1905 und 1917 ähnelt? Was wäre damit gewonnen? Wer würde dann an die Macht ge-langen? Mit einem weiter verschärften Wirtschaftskrieg und zusätzlichen Waffenlieferungen an die Ukraine erhöhen Sie die Unwägbarkeiten, die mit einer Destabilisierung Russlands einhergehen. Warum werden russländische Wissenschaftler und Künstler zur kollektiven Verantwortung für ihren Präsidenten und ihre Heeresführung gezogen? Warum die prowestlich eingestellte Bildungselite Russlands zu Zehntausenden ins Exil gestoßen?

Wann werden Sie eine an den deutschen Interessen sich orientierende Außenpolitik betreiben, anstatt sich weiter in das Schlepptau der USA oder der Herren W. Selenskij und A. Melnyk, die das rechtsextreme Asow-Regiment der ukrainischen Armee unterstützen, nehmen zu lassen?

Wir, die Unterzeichner, welche das Massaker von My Lai vom 16. Mai 1968 von US-Soldaten an vietnamesischen Zivilisten an den Pranger gestellt, aber keineswegs verlangt haben, ein gesamtes Volk wegen eines Präsidenten zu bestrafen, der bereit und willens gewesen ist, Grausamkeiten begehen zu lassen bzw. unter den Tisch zu kehren, werfen Ihnen vor, dass Sie die Grenzen der Verhältnismäßigkeit bewusst und massiv überschreiten sowie alte Feindbilder heraufbeschwören, statt diesen zu widersprechen.

Deutsche Regierungen haben den Völkern Russlands bzw. der UdSSR im 20. Jahrhundert zwei Kriege aufgezwungen, die zu Not und Elend, bis dahin unvorstellbaren Zerstörungen und Grausamkeiten, Leid und Tod geführt haben. Mit welchem Recht nehmen Sie für sich eine Moral in Anspruch, die viele Deutsche nach dem Ersten wie Zweiten Weltkrieg mit Füßen getreten haben?

Zahlreiche Politiker, Historiker, Journalisten, Juristen etc. sowie große Teile des Volkes haben sich nach 1945 in die Büsche geschlagen und so getan, als hätten sie von dem, was in ihrer Nachbarschaft oder auf den Schlachtfeldern und in den Lagern geschehen ist, nichts gewusst. Und selbst als es ihnen unmissverständlich vor Augen geführt wurde, haben sie es nicht für erforderlich gehalten, sich damit auseinanderzusetzen, und jene, die es taten, als „Bußprediger“ und „Moralapostel“ verunglimpft. Zugleich ist den Verfolgten und Geschädigten die Beweislast für ihre Demütigungen und gesundheitlichen Einbußen auferlegt worden, während man vielen Tätern und Mittätern mit vom Bundestag sanktionierten Gesetzen die Rückkehr in ihre einstigen Amtsstellen erleichtert hat. Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht mehr in den traditionellen Bahnen einer Haltung bewegen, die sich unter Berufung auf deutsche Verantwortung in hohem Maße als unverantwortlich und moralisch unhaltbar erweisen wird?

Statt sich als Mittlerin zwischen Ost und West hervorzutun und mit Sachlichkeit und Zurückhaltung zu deeskalieren, heizen Sie durch Ihre emotionsgeladenen Reden und Ihr Handeln den Konflikt weiter an und beschwören damit die Gefahr eines Dritten Weltkrieges herauf.

Statt in einer schwierigen Lage, kühlen Kopf zu bewahren und alles zu tun, um den Frieden wieder herzustellen, tragen Sie eine große Mitverantwortung für die Rückkehr zu einer „Kriegskultur“, an deren Ende das Chaos lauert.

Ihr Verhalten offenbart u.E., dass Sie den Boden unter den Füßen verloren haben und von dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn!“ beseelt sind. Begegnen Sie stattdessen Ihrem Gegner – ungeachtet seiner Verbrechen und Verwerflichkeiten – mit Respekt und Anstand – und greifen Sie bitte den Gerichten nicht vor! Im Atomzeitalter ist der Glaube, mit der Gewalt Herr über die Gewalt zu werden, zum Scheitern verurteilt.

Wir bitten Sie, den Erhalt unseres Schreibens kurz zu bestätigen, und verbleiben mit freundlichen Grüßen,

Dr. Tessa Hofmann
Helmut Donat-Freiherr von Bothmer

* So berichtet der Augenzeuge Leibl (Aryeh) Schmitt aus Wiznian über die Liquidierung des Lagers Kurowice im November 1943 Folgendes: „Der Hof des Lagers war mit Hunderten von Juden gefüllt, die aus allen Richtungen zusammengebracht worden waren. Es gab dort Juden aus Zloezów, Pluchów, Zborów und von anderswo her. Franz Warzog von der SS stand dieser Masse von Menschen vor. Er befahl ihnen, sich auf den Boden zu setzen und keinen Laut von sich zu geben. Er verweigerte ihnen den Zugang zur Latrine und gestattete es nicht einmal aufzustehen, um sich zu strecken. Jeder, der es wagte aufzustehen, wurde auf der Stelle erschos-sen. Es gab einen Juden namens Yankl Kanner aus dem Dorf Sielce, der den Mut aufbrachte zu fragen, warum wir uns nicht bewegen durften. Daraufhin befahl Warzog der ukrainischen Polizei zu handeln, und sie began-nen, die Menschen zusammenzuschlagen. Yankl und andere Juden wurden zu Tode geprügelt und ihre Leichen mitten in Menschenmenge auf den Lagerhof geworfen. Auf den Befehl Warzogs hin zogen sich die Juden bis auf die Unterkleidung aus. Dann begannen die Polizisten, aus jeder Gruppe fünfzig Juden auszuwählen und führten sie zu einer riesigen Grube, die mehrere hundert Meter lang war. Den Juden wurde befohlen, sich in die Grube zu legen. Die Polizisten feuerten in die Grube, auf eine Gruppe nach der anderen. Als sie mit den Männern fertig waren, brachten sie die Frauen – hundert Frauen in jeder Gruppe. Nicht alle wurden tödlich getroffen. Einige waren verletzt, aber am Leben, und einige blieben unverletzt. Alle jedoch wurden mit Erde bedeckt, Lebende und Tote gleichermaßen.“ (Zitiert und übersetzt aus: Eliyahu Yones, Smoke in the Sand: The Jews of Lvov in the War Years 1939-1944, Jerusalem 2004) Wir erinnern zugleich an das Massaker von Babyn Jar, wo in nur 2-3 Tagen Ende September 1941 über 37.000 Juden ermordet worden sind – unter Beteiligung der ukrainischen Hilfspolizei! Obwohl der historische Vergleich unstatthaft sein dürfte, haben in der letzten Woche sowohl Redakteure des „Deutschlandfunks“ als auch der Politiker Andreas Hofreiter am 8. April öffentlich von einem „Ver-nichtungskrieg“ in der Ukraine gesprochen; sie legen damit nahe, als handele Russland nach dem Muster der 6. Armee unter Generalfeldmarschall Walter von Reichenau und der SS-Einsatzgruppe C im Krieg gegen die Sowjetunion. Solche Vergleiche sind weder rechtschaffen noch redlich, und wir hoffen, dass Sie nicht ins gleiche Horn tuten, sondern die Schoah und den deutschen Krieg gegen die UdSSR nivellierende Vergleiche, die kriegspropagandistischen Zwecken dienen, unmissverständlich zurückweisen werden.

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